Der Rätikon ist schon seit Jahrhunderten das Grenzgebirge zwischen dem Prättigau und dem Montafon. Bereits in prähistorischer Zeit (Eisen-/Bronze-/Steinzeit) fanden Wanderungen von Menschen im heutigen Grenzgebiet statt. Grund waren damals vor allem Bergbau und Landwirtschaft. Die heutige Grenze befindet sich auf durchschnittlich 2500m Seehöhe, aber dennoch gab es über sämtlicher Jöcher schon immer regen Grenzverkehr, gerade auch vom Gargellental aus und retour. In Gargellen wurde 1790 auch das erste Zollamt errichtet.

Legale Grenzübertritte

Dabei waren in früheren Zeiten die Grenzübertritte und die mit diesen verbundenen Gehzeiten von rund 8 Stunden völlig normal, wegen der Landwirtschaft, sonstiger Arbeit oder auch aus familiären Gründen wurden diese Märsche sehr häufig auf sich genommen. Natürlich spielte auch der reguläre Handel eine große Rolle. Vom Schrunser Markt wurden häufig und in großer Zahl Kühe, Stiere und Pferde nach Graubünden verkauft.

Nach 1600 wurden diese Grenzüberschreitungen u.a. von der Kirche kritisch gesehen, waren doch die Montafoner (wie heute noch) ganz überwiegend Katholiken, während Graubünden reformiert war. Hier handelte es sich also auch um eine konfessionelle Grenze, welche aber uneheliche grenzüberschreitende Kinder nicht zu verhindern mochte…

Streitereien an der Grenze waren seit jeher an der Tagesordnung. Von Prügeleien wird berichtet und Auseinandersetzungen um Grenzen der Alpgebiete oder der Zugehörigkeit von Vieh bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen und Plünderungen im 30-jährigen Krieg.

Illegale Grenzübertritte

Dabei stechen seit jeher zwei großen Themen hervor: Der illegale Grenzübertritt mit Waren, also die Schmuggler und die illegalen Grenzübertritte von Flüchtlingen, die häufig durch Schlepper organisiert waren. Dabei entstand oft das eine aus dem anderen, wie der berühmte Montafoner Meinrad Juen lehrt, der zunächst professioneller Schmuggler und dann in der NS-Zeit ebenso professioneller Helfer von Flüchtlingen war.

Schmuggler

Für die Schmuggler im 19. Jahrhundert war diese Tätigkeit ein wichtiger und regelmäßiger Nebenerwerb. Dies galt insbesondere im damals armen Montafon, dessen Landwirtschaft häufig kaum die eigenen Kinder ernähren konnte. Der bereits erwähnte Meinrad Juen (1886-1949) wurde so vom einfachen Bauernbub zum Händler und baute ein großes Schmugglernetzwerk mit Verstecken etc. auf. Geschmuggelt wurde häufig Tabak, Butter, Fleisch, Zucker und Kaffee, aber auch Vieh.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Schmuggeln kurzzeitig noch mal interessant, danach verlor die Schmuggelei jedoch an Bedeutung und auch die Zollwachen und Zollstreifen in den Bergen wurden weitgehend eingestellt. Mit dem Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum 2008 verlor die Grenze nochmals an Bedeutung.

Flüchtlinge

Bereits während des 1. Weltkrieges wurde nicht mehr nur Ware über die Grenze zur Schweiz geschmuggelt, sondern auch Menschen. Motiv während dieser Zeit war meist, dem Frontdienst in der österreichisch-ungarischen Armee zu entkommen. Für die schwierige Route durch die Berge wurden häufig die Dienste von Fluchthelfern in Anspruch genommen, häufig Leute, die sich aufgrund ihrer Schmugglertätigkeit in den Grenzgebieten ohnehin sehr gut auskannten. Diese Dienste mussten natürlich bezahlt werden.

Der Menschenschmuggel erreichte im Nationalsozialismus seinen Höhepunkt. Ab 1933 versuchten viele verfolgte Juden, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, politisch Andersdenkende, aber auch Deserteure aus den eigenen Streitkräften, die Schweiz zu erreichen. Einen Höhepunkt erreichte die Flüchtlingswelle mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938.

Ab 1936 versuchten dann Freiwillige illegal über Österreich und die Schweiz nach Spanien zu gelangen, um auf Seiten der Republikaner gegen die Faschisten um General Franco zu kämpfen.

Teilweise schoben SS-Einheiten Juden sogar aktiv in die Schweiz ab, obwohl sie dort keine Einreiseerlaubnis hatten. Diese Vertreibung wurde von einer Zentralstelle der Nationalsozialisten in Wien koordiniert. Die Schweizer wiederum verschärften die Einreisebestimmungen. So waren sie Mitauslöser, dass in die Pässe deutscher Juden das „J“ eingestempelt wurde. Flüchtlinge waren nicht willkommen und wurden teilweise sogar wieder ausgeliefert. 1942 schloss die Schweiz die Grenzen für Flüchtlinge aus „Rassegründen“ zunächst komplett, wohl wissend, dass den Juden die Vernichtung im Deutschen Reich drohte.

Fluchthelfer, Schlepper, Schleuser oder Passeure wurde Menschen genannt, welche die Flüchtenden ohne, für wenig oder viel Geld über die Grenze geführt haben. Ein sehr bekannter Schlepper war Meinrad Juen aus St. Gallenkirch. Er ­soll über 40 Menschen die erfolgreiche Flucht in die Schweiz ermöglich haben. Dabei ging es ihm wohl vorrangig ums zu verdienende Geld, er handelte weniger aus politischen oder weltanschaulichen Gründen. Als er verhaftet wurde, konnte er aufgrund guter Beziehungen fliehen, sich bis zum Kriegsende im Montafon verstecken und sich mit Schwarzschlachten über Wasser halten kann. 1949 stirbt er, seine und die Zeit der Schmuggler ist an der Grenze am Schlappiner Joch vorüber. 

Neben ihm waren zahlreiche weitere „Juden-Schmuggler“ im Montafon tätig, die es allerdings nicht zu derartiger Bekanntheit brachten. Einige nahmen den Flüchtlingen nur das Geld ab und verrieten sie an die Grenzer. Unabhängig davon wurden auch viele Flüchtlinge auf ihrem Weg in die Schweiz gefasst, erhängt, erschossen oder in KZs verschleppt. Kurz vor Kriegsende versuchten dann selbst zahlreiche Schergen des NS-Regimes, in die Schweiz zu entkommen.

TOP TIPP 

Wer sehr hautnah und authentisch die Fluchtgeschichten erleben will, dem sei die sensationelle und preisgekrönte Montafoner Theaterwanderung in Gargellen dringend ans Herz gelegt. Wird 2024 zum letzten Mal aufgeführt!!  

Literatur

Noch mehr Infos zum Thema gibts im von Edith Hessenberger 2008 herausgegebenen und sehr anschaulich geschriebenen Buch Grenzüberschreitungen, das als Sonderband Nr. 5 der Montafoner Schriftenreihe erschienen ist. Außerdem von Meinrad Pichler zu Meinrad Juen, Nationalsozialismus in Vorarlberg, 3. Aufl. 2019, Seite 280 ff.

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