Flüchtlingshelfer an der Grenze Österreich – Schweiz

Im März 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Danach versuchten unzählige Menschen, vor allem in Deutschland und Österreich verfolgte Juden, die Grenze gerade im Rheintal zwischen Feldkirch und Bregenz zu überwinden. Dies entweder über die Grenzübergänge, was aufgrund der Visumspflicht kaum möglich war, aber auch über die grüne Grenze, die in dem Fall eher nass war, bildet doch der Rhein über viele Kilometer den Grenzverlauf ab. Der Bundesrat der Schweiz beschloss am 18. August 1938 bereits ein Einreiseverbot für Flüchtlinge aus Österreich und versuchte damit u.a., die Flüchtlingsroute südlich des Bodensees zu schließen.

Dagegen wendete sich bereits im Vorfeld der 1891 geborene Paul Grüninger, Polizeihauptmann in St. Gallen. Er trat für offene Grenzen ein, die Aufnahme von Flüchtlingen gebiete zumindest die Menschlichkeit, so Grüninger. Vor seiner Polizeikarriere war er Lehrer und erfolgreicher Fußballspieler. Er war verheiratet und hatte 2 Töchter. Um seinen vermutlich aus dem christlichen Glauben entsprungenen Überzeugungen Geltung zu verschaffen, setzte er sich auch nach dem Einreiseverbot für Flüchtlinge ein und über das Gesetz hinweg. Zunächst stempelte er Einreisedokumente mit altem Datum ab, damit die Einreise auf dem Papier vor dem Einreiseverbot lag, dann fälschte er Visa, lies Flüchtlinge ohne oder mit gefälschten Visa über die Grenze im Rheintal einreisen und setzte sich für den Nachzug von Kindern ein, deren Eltern die Flucht in die Schweiz geglückt war. So verhalf er über 3000 Juden zur Flucht in die Schweiz.

1939 wurde er aufgrund seiner Tätigkeit des Amtes enthoben und entlassen, die Rente wurde ihm verweigert und 1940 wurde er vom Bezirksgericht St. Gallen zu einer Geldstrafe verurteilt. Begründung: Amtspflichtverletzung und Urkundenfälschung. Seine Reaktion darauf:

„Ich bin gegenteils stolz darauf, vielen Hunderten von schwer Bedrängten das Leben gerettet zu haben. Wer wie ich wiederholt Gelegenheit hatte, die herzzerbrechenden Auftritte, das Zusammenbrechen der Betroffenen, das Jammern und Schreien von Müttern und Kindern, die Selbstmorddrohungen anzuhören sowie Selbstmordversuche anzusehen, der konnte schließlich nicht mehr mittun. Es ging darum, Menschen zu retten, die vom Tod bedroht waren. Wie hätte ich mich unter diesen Umständen um bürokratische Erwägungen und Berechnungen kümmern können?“

Gesellschaftlich und finanziell bedeutete die Entlassung den Ruin für Paul Grüninger. Seine Tochter musste ihre Ausbildung abbrechen, er selbst erhielt zeitlebens keine feste Anstellung mehr und lebte in ärmlichen Verhältnissen bis zu seinem Tod am 22.02.1972. Immerhin hatte er die Verleihung des Titels „Gerechter unter den Völkern“ durch das israelische Yad Vashem, The World Holocaust Remembrance Center, gerade noch miterlebt. Seine Rehabilitierung in der Schweiz sollte danach noch über 20 Jahre dauern. Erst 1993/94 wurde er politisch rehabilitiert, 1995 wurde das Urteil gegen ihn aufgehoben. Seine Erben wurden mit 1,3 Mio sFr entschädigt, die diesen Betrag dazu nutzten, die Paul Grüninger Stiftung zu gründen. 2012 wurde die Brücke über den Alten Rhein zwischen Hohenems und Diepoldsau „Paul Grüninger Brücke“ getauft und mit einem entsprechenden Namensschild und einer Erinnerungstafel versehen.

Wer mehr über das Leben von Paul Grüninger und den Umgang der Schweiz mit jüdischen Flüchtlingen erfahren möchte, dem seien die Bücher von Stefan Keller „Grüningers Fall“ und von Alfred A. Häsler „Das Boot ist voll“ sowie der Dokumentarfilm von 2014 „Akte Grüninger“ empfohlen.

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