Vom Montafon zum Ursprung des Rheins
Was als ruhige und gemütliche Zugfahrt mit anschließendem Spaziergang zum Ursprung des Rheins gedacht war, entwickelte sich zu einem spannenden und abenteuerlichen Erlebnis. Da auch unsere Flüsse aus dem Montafon (Ill und Litz) in den Rhein münden, wollten wir erkunden, mit welchem Wasser sich „unser“ glasklares Bergwasser denn da vermischt und wo dieses herkommt.
Um 06:45 Uhr ging es los. Wir fuhren vom Montafon mit dem Auto und unseren voll bepackten Wanderrucksäcken über die Schweizer Grenze nach Landquart. Nach einer unkomplizierten Autofahrt kamen wir zirka eine Stunde später am Bahnhof an. Das Auto konnten wir am Bahnhofsparkplatz für 8 Franken abstellen. Danach stiegen wir in die urige Rhätische Bahn, die schon auf uns wartete. Das Zugpersonal war sehr freundlich und zuvorkommend. Sie erklärten uns genau, was wir während der Zugfahrt alles erleben und sehen werden.
Der Schmalspurtrasse der Rhätischen Bahn (in Landquart nicht in die Normalspurzüge der SBB einsteigen!) verläuft meist direkt am Rhein entlang über Chur nach Reichenau im Kanton Graubünden. Dort vereinigen sich Vorderrhein und Hinterrhein zum uns bekannten Rhein, der dann über den Bodensee, Basel und Köln nach Holland und in die Nordsee fließt. Wir wollen uns aber den Quellen zuwenden. So ist der Hinterrhein auch einer der Quellflüsse des Rheins und entspringt an den Hängen von Rheinwaldhorn, Güferhorn und Rheinquellhorn. Der Vorderrhein ist der zweite Quellfluss des Rheins, dem wir mit der Rhätischen Bahn bis zur Quelle folgen wollten. Sein Einzugsgebiet von über 1500 km² liegt in der Schweiz und er ist mit etwa 76 Kilometern etwas länger als der Hinterrhein. Als Quelle des Vorderrheins – und des Rheins – wird der Tomasee angesehen, das Ziel unserer Reise.
Text und Fotos: Barbara Walter und Michael Mangeng, Schruns.
Nach der kurzweiligen Fahrt und dem Blick in den in allen blautönen schimmernden Rhein, auf sattgrüne Bergwiesen und schneebedeckte Berge kamen wir in Disentis an. Dort mussten wir in die Matterhorn Gotthardbahn umsteigen. Während dieser Fahrt wurden die Berge scharfkantiger, die Umgebung winterlicher und die Luft kühler. Als wir schließlich mit einer Gesamtfahrzeit von 2 Stunden und 30 Minuten am Oberalppass auf rund 2000 Meter an Ziel unserer Zugfahrt kamen, brauste ein kalter Wind durch unsere Haare und wir erkannten, dass eine ordentliche Ausrüstung nicht verkehrt war. Wir bedachten allerdings nicht, dass die starken Schneefälle einige Wochen zuvor uns einen Strich durch die Rechnung machen würden.
„Die Beschilderungen zum Tomasee sind noch gar nicht aufgestellt und die Verhältnisse sind noch sehr winterlich“, meinte eine freundliche Wirtin. „Ihr könnt es aber schon versuchen“, fügte sie zaghaft hinzu.
Die Idee, die Quelle des Rheins zu finden, hatten wir klar vor Augen. Den Leuchtturm, der 2010 am Oberalppass aufgestellt wurde, empfanden wir daher als ein tolles Symbol für unser Vorhaben. Dieser ist eine Nachbildung eines Leuchtturmes, der über 70 Jahre lang an der Rheinmündung in den Niederlanden stand. Er soll den Wunsch wecken, einmal im Leben zur Quelle des Rheins zu gehen, denn dieser Fluss prägt viele Länder und über 50 Millionen Anwohner leben an seinen Ufern. Durch den Turm wurden wir zusätzlich motiviert und gingen voller Vorfreude los. Doch nach wenigen Metern standen wir in unserem ersten Schneefeld und brachen immer wieder in den Schnee ein. Teilweise steckten wir bis zu den Oberschenkeln im Schnee. Trotzdem gingen wir weiter und erreichten schließlich den Sonnenhang. Dort schöpften wir neuen Mut und genossen die wunderschöne und atemberaubende Landschaft. Je weiter wir gingen, desto winterlicher wurde es allerdings, bis wir plötzlich in einem großen Schneefeld standen.
Wir konnten uns auf einmal mit Kolumbus identifizieren, der neues Land entdeckte und keinen blassen Schimmer hatte, wohin ihn der Weg eigentlich führte. Immer wieder erkannten wir Flüsse unter der Schneedecke und hörten direkt unter unseren Füßen das Rauschen und Toben des Wassers. Für unerfahrene Bergsteiger wie uns war das ein abenteuerliches Erlebnis.
Als wir eine Anhöhe erreichten, erkannten wir auf einmal einen zugefrorenen See. „Ist das der Tomasee?“, fragten wir uns. Und auch zwei deutsche Bergsteiger, die uns entgegenkamen, stellten sich die gleiche Frage. Doch leider erkannten wir, dass wir das Ziel noch nicht erreicht hatten und gingen weiter. Nun zu viert. Die beiden hatten eine ähnliche Idee wie wir. Sie wollten den Ursprung des Rheins suchen und von dort aus den Fluss bis zur Nordsee mit einem Kanu befahren. Wir wussten, dass der Tomasee nicht mehr weit entfernt sein konnte. Wir stapften weiter und weiter, denn wir vermuteten nach jedem Bergvorsprung die Rheinquelle.
Als wir ein großes Stück weiter gekommen waren, trafen wir wieder auf zwei Touristen und eine Bergführerin aus der Gegend. Sie wollten ursprünglich auch zum Tomasee, doch sie gaben schließlich wegen den winterlichen Verhältnissen auf und rieten auch uns dazu. Deshalb legten wir schweren Herzens ein neues Ziel fest und gingen weiter zur Maighelshütte, die auf 2310 Metern liegt. Dort angekommen aßen wir unseren Proviant und ruhten uns etwas aus. An der Fassade war ein Plan angebracht und wir bemerkten, dass wir zu weit gegangen und die Abzweigung zum Tomasee verpasst hatten. Von unserem Standort aus hatten wir einen guten Überblick und so erspähten wir einen kleinen Teil des Weges zum Tomasee.
Dieser war durch Lawinenabgänge verschüttet und somit nicht erkennbar und begehbar. Das war auch der Grund, warum wir die Abzweigung nicht erkannt hatten. Auf dem Rückweg zum Oberalppass suchten wir nochmals nach der Abzweigung zum Tomasee und sahen den Rhein, der vom Tomasee aus über die Felsen plätscherte und schließlich größer und größer wurde. Die Vorstellung, dass wir doch noch den Ursprung des Rheins, der für uns ein solch riesiger und wichtiger Fluss ist, gesehen zu haben, erfüllte uns mit großem Stolz. Dann stapften wir weiter, bis wir nach zirka zwei Stunden am Oberalppass ankamen. Die Fahrt zurück nach Landquart verlief reibungslos und wir konnten den ereignisreichen Tag nochmals Revue passieren lassen.
Unser Fazit: Es war ein unvergesslicher, ereignisreicher, spannender und abenteuerlicher Tag, den wir nicht so schnell vergessen werden. Wir empfehlen diesen Ausflug gerne weiter. Allerdings schlagen wir eine andere Jahreszeit vor. Wir fanden es sehr schade, dass wir den Tomasee nicht erreicht haben, können allerdings die Maighelshütte empfehlen und auch die Fahrt mit der Rhätischen Bahn ist unvergesslich. Es ist jedenfalls sehr eindrucksvoll zu sehen, wie aus diesem kleinen Rinnsal an der Quelle ein solch großer Strom wird.